Umgezogen!

5. Februar 2015 § Hinterlasse einen Kommentar

blogbild Kopie

Ab sofort findet man alles, „was ja mal passieren kann“ auf

http://blog.denisebucher.ch

Hurra! Und ein herzliches Dankeschön an die Zeichenfabrik.ch.

Si hed de Schwung abegschtoche

21. Dezember 2014 § Hinterlasse einen Kommentar

In dene Tor musme überzügt Schgiifaare.

Da gaht si zvil ga hole, da müesst si radikaler abeschtäche.

Ire fehlt de schnelli Widerschtand vom Schnee.

Chamer vorschtelle, dass es für si da obenabefahre nid so luschtig isch, will si mus immer präsent sii.

Si faad wider aa meh schpile. Uf dem Gländ muesch schpile.

Si het grad echli direkt welle schtäche.

Jo, und Norwege es bitz Pech.

D’ Lis Görgel geschter sehr überraschend gfaare, geduldig au.

Si hed s’Rezept guet ghaa.

Das kann si jetz heischaukle.

Do obe mit beschtechend vil Selbschtvertraue inegschtoche.

Si mus dr Schwung progressiv uufbaue.

Si het d’Kurvelaag extreem gsuecht.

Si kunnt is Schaffe.

Kuum hett si e Schtartnummere aa, kann si no e Schtuufe druuflegge.

(Ko-Kommentator Michael Bont zum heutigen Super-G der Frauen in Val d’Isère.)

In fünfunddreissigeinhalb Stunden nach Dublin

14. Dezember 2014 § Hinterlasse einen Kommentar

Um 9:35 in Zürich in den TGV einsteigen.
In Dijon der knatternden Durchsage zuhören; technische Störung, Zug vor uns, unbestimmte Verspätung.
Was essen.
Doch mal auf die Uhr schauen.
Am Gare de l’Est die Metro Nr. 14 suchen.
Froh sein, dass man zuhause noch nachgesehen hat, dass man Nr. 14 nehmen muss.
Gegen den unfassbar langsamen Billettautomaten treten.
Wo fährt der Zug nach Cherbourg?
Voie 23, à 15:10.
Die Sitze in diesem Zug sind so dick gepolstert wie Sofas.
Sich fragen, wer von denen je sein Boot benutzt, das er im Bootshaus vor seiner Villa da am Fluss liegen hat.
Ist das die Seine?
Sich fragen, ob das ein Gas- oder ein Kernkraftwerk war. Und ob es die überhaupt ohne Kühlturm gibt. Gab es auf den Bildern von Fukushima einen Kühlturm?
Waren da nicht irgendwo noch Sandwiches?
Es windet in Cherbourg.
Au port maritime, s’il vous plaît.
Feststellen, dass die strengere Sicherheitskontrollen machen, als man dachte.
Nervös werden, weil man acht Messer im Gepäck hat; ein Geschenk.
So unbeteiligt wie möglich zur Kenntnis nehmen, dass sie den Familienvater vor einem filzen.
Dem jungen Zöllner den Pass geben und ihn so gleichgültig, aber höflich wie möglich kurz anlächeln.
Durchgewunken werden.
Mitleid haben mit einem rheumatischen Schäferhund.
19:53 Uhr. Der knatternden Durchsage zuhören. This is your captain speaking. Irgendwas mit rough conditions und 4-5 Meter hohen Wellen.
Feststellen, dass es auf Fähren die allerschlechtesten Kantinen gibt.
Neben Ketchup- und Senfbeuteln, Besteck und Servietten liegen Kotztüten auf.
Über die Reling lehnen und in das schwarze Wasser starren.
Wenn da einer reinfallen würde…
Da hängen Rettungsringe, an denen es Lampen hat.
Einschlafen.
Im Morgengrauen aufwachen, weil das Schiff knarzt und zittert, wenn es gegen Wellen knallt.
Das lustig finden.
Seekrank werden.
Einschlafen.
Immer noch drei Stunden bis Rosslare.
Einschlafen.
Land in Sicht!
Rosslare hat 1990 einen Preis für die Beste Hafenanlage Europas gewonnen.
Es gibt kein Café.
Der Bus nach Dublin fährt in zwei Stunden, der Zug in drei.
Muscheln sammeln.
Zeitung lesen.
Entdecken, dass es Free Wi-Fi gibt.
Mit dem Bus schon mal nach Wexford.
Es bereuen, dass man keine wärmeren Kleider eingepackt hat.
Eine Stunde auf den nächsten Bus warten, bei einem Chinesen eine Suppe essen.
Den Zug vorbeifahren sehen, den man hätte nehmen können.
18:30 Uhr.
Nochmals zwei Stunden mit dem Bus durch die Dunkelheit fahren.
Ist das jetzt Dublin?

Mit dem Flugi wäre man in knapp zwei Stunden da.

Ästhetik des Elends

28. November 2014 § Ein Kommentar

Sebastião Salgado hat Grausames in wunderschönen Bildern dokumentiert. Wim Wenders porträtiert ihn.

 

Er ist in Kriegsgebiete gereist, hat die Hungersnöte in der Sahelzone und den Völkermord in Ruanda gesehen und fast alles fotografiert: Sebastião Salgado (60), brasilianischer Fotograf. Er hat mit seinen bedrückend ästhetischen Fotoreportagen die letzten 40 Jahre das Elend dokumentiert und wäre psychisch daran fast zugrunde gegangen. Mit seinem Werk ­«Genesis», für das er sich vom zerstörerischen Menschen ab und der schöpferischen Natur zugewandt hat, hat er sich kuriert.

Wim Wenders stellt diesen Fotografen nun vor. Er hat dafür mit Salgados Sohn Juliano zusammengearbeitet, was dem Film guttut. Von Juliano stammt das Filmmaterial, das bei den «Genesis»-Reisen entstanden ist. Es ist farbig, lebendig, authentisch. Das von Wenders ist meist schwarzweiss, streng komponiert und prätentiös. In dieser Vorliebe für eine kühle ­Ästhetik ähneln sich der Filmer und der Fotograf: Wenders zwingt einen, auf Salgados Bilder zu blicken. Man ist fasziniert von deren kompositorischen Schönheit und zugleich abgestossen von den vielen Kranken, Verzweifelten und Toten.

Salgado kommentiert aus dem Off: Jeder sollte seine Bilder sehen, weil sie das Böse unserer Art zeigten. Aber je öfter und länger man hinschauen muss, desto drängender stellt sich die Frage, ob dieser Aufklärer nicht ein Voyeur sei. Zum Beispiel dann, als er erklärt, wie sehr er es bereut habe, im Irakkrieg die brennenden Ölfelder hinter sich lassen zu müssen, «so ein Spektakel» sei das gewesen. Aber Wenders fragt ihn nicht danach. Stattdessen unterlegt er Salgados Bilder mit Geräuschen und Musik, sodass man den Eindruck bekommt, hinter dem statischen Bild bewege sich noch, was der Fotograf gerade eben festgehalten hat. Damit lässt er die Bilder lebendig werden und potenziert ihre grausame Poesie.

13. November 2014 § Hinterlasse einen Kommentar

Botschaft2

GIB GRAS

11. November 2014 § Hinterlasse einen Kommentar

Er könnte Gemeindeamman sein, der Mann im hellblauen Hemd, grau meliert die Haare, Brille mit Silberrand. Oder Angestellter bei der nahen Raiffeisenbank. Aber Manfred Fankhauser ist ein Mann, der sein Geld mit Cannabis verdient. Er ist der einzige Apotheker der Schweiz, der vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Bewilligung erhalten hat, Cannabispräparate herzustellen und zu verkaufen. Seine Apotheke, in einem Schindelhaus aus dem 19. Jahrhundert, liegt in Langnau, zwischen Hügeln und Wiesen, auf denen im Sommer Kühe weiden und jetzt schmutzige Schneereste liegen. Im Kühlschrank seines Labors lagert Fankhauser die Fläschchen mit Cannabislösung. Er nimmt eines heraus. «Da sind 500 Milligramm THC drin, das sind 50 … 20 … 25 Joints, wenn man es umrechnen würde.» Seine Tinktur trinken im Moment 250 Patienten, viele haben Krebs oder leiden an MS. Das Cannabis lindert ihre Schmerzen und Muskelkrämpfe, es hilft, wenn ihnen von der Chemotherapie übel ist, es regt den Appetit an. Manfred Fankhauser lobt Cannabis als hochpotentes Arzneimittel. Die Ärzte wussten schon immer um die Wirkung. Bis um 1900 hat man mit Cannabis Schmerzen, Keuchhusten und Asthma behandelt. Es war ein beliebtes Schlaf-, Beruhigungs- und Hühneraugenmittel. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts geriet der Stoff in Verruf. Der Amerikaner Harry Jacob Anslinger, ein fanatischer Cannabisgegner, erreichte, dass die Pflanze 1961 von der UN-Drogenkommission unter das Betäubungsmittelgesetz ge­stellt wurde. Die Schweiz zog 1970 nach. In Colorado und Uruguay kauft und raucht man es neuerdings straffrei, die Schweiz debattiert das Dafür und Dawider. Fankhauser ist dafür. Weil man vielen damit helfen könne und es als Medikament sehr gut verträglich sei. «Verglichen mit Cannabis, ist manches rezeptfreie Mittel regelrecht gefährlich. Wenn man sich den Beipackzettel von Aspirin anschaut, findet man Nebenwirkungen, die von Übelkeit bis zu Magen- und Hirnblutungen reichen. Es gibt bei Cannabis keine tödliche Dosis, auch keine Folgen, wie sie bei Nikotin oder Alkohol früh sichtbar werden.» Trotzdem gilt Cannabis als Betäubungsmittel.

Der Bauernsohn aus Trub studierte Pharmazie und schrieb, angeregt von seinem Doktorvater, seine Dissertation über Cannabis als Heilmittel. Er wurde bald «wissenschaftlich abhängig», wie er es nennt. Wenn er an Hanfmessen Vorträge hielt, traf er regelmässig auf MS-Kranke im Rollstuhl, «Die hatten noch nie in ihrem Leben gekifft und mussten an solche Orte kommen, weil sie auf ein Heilmittel hofften. Das war absurd», sagt Fankhauser. Es spornte ihn an. Manchmal wollen die Leute wissen, ob er eine Kifferkarriere hinter sich habe. Nein, sagt der Nichtraucher. Er habe vielleicht zweimal in seinem Leben an einem Joint gezogen – und dabei an biochemische Reaktionen im Gehirn gedacht. Er hat Respekt vor der Substanz. «Ich verstehe die Faszination von Drogen, auch harten Drogen. Aber ich bin zu ängstlich dafür.» Logisch, dass er auch keine Freude hätte, wenn er seine beiden Söhne, 16 und 18 Jahre alt, beim Kiffen erwischen würde. Der Apotheker wusste, dass es mit einer Bewilligung für ein Medikament aus natürlichem THC schwierig werden könnte. Aber er wusste auch, dass es in Deutschland eine Firma gab, die die Substanz synthetisch herstellte. Aus Zitronenschalen. «Das Betäubungsmittelgesetz sprach nur von Cannabis, aber nicht von Zitronenschalen», sagt er. Das BAG musste ihm die Bewilligung geben. Seit 2008 darf er das künstlich hergestellte Dronabinol verkaufen. Seit der Revision des Betäubungsmittelgesetzes 2011 ist auch die natürliche Cannabistinktur erlaubt. Unter strengen Auflagen. «Eigentlich könnte jeder Cannabispräparate verkaufen. Der enorme administrative Aufwand, vielleicht die stigmatisierte Pflanze, hält andere Apotheker aber davon ab.» In seinem Labor unten im Keller riecht es nach gedörrten Blumen. Auf einem Tisch stehen ausgemusterte Apparate aus einer Militärapotheke, die er übernehmen konnte, mit Knöpfen und Hebeln so gross, dass man sie mit Fausthandschuhen bedienen könnte. In einem Regal lagern Pflanzen, aus denen er seine eigenen Curaplant-Heilmittel herstellt. Er öffnet den Tresor und nimmt einen Behälter mit Glasspritzen heraus. Reines THC. «Wenn es kalt ist, ist es zähflüssig. Wie Zementit. Damit ich es verarbeiten kann, muss ich es erhitzen.» Er schaltet ein Gerät ein, das sein Schwiegervater aus einem alten Lockenstab gebaut hat. Er hält eine Spritze in den warmen Luftstrom, und sobald die Temperatur auf 85 Grad gestiegen ist, mischt er das flüssige THC mit einem Öl. «Keine grosse Sache», sagt er.

Wenn er seine Cannabispräparate herstellt, arbeitet er im Milligrammbereich. Sein Büro dagegen sieht chaotisch aus, überladener Schreibtisch, ein Regal mit braunen Flaschen, darüber Behälter voller Pulver und Pillen. Zwei Kupferstiche hängen an der Wand. Auf dem einen befinden sich Apotheker und Tod im stummen Kampf um einen Patienten. «Le plus fort est maître» steht darunter. Der andere zeigt einen «Docteur Alchimiste», über sein Buch gebeugt. Fankhauser zählt zu denen, die sich Krankheit und Tod mit seriöser Wissenschaft entgegenstellen. Die Alchemie überlässt er den Wunderdoktoren, Handauflegern und Heilern, für die das Emmental bekannt ist. Er arbeitet am liebsten im Labor, die Abgrenzung zu seinen Patienten fällt ihm schwerer, besonders die körperliche Nähe. «Ich könnte nie in einem Spital arbeiten. Ich habe Mühe, fremde Menschen zu untersuchen», sagt er. Zwischen Apotheker und Patient gebe es zwar immer noch die Theke. «Aber manchmal ist mir auch die zu schmal.» Mit den meisten seiner Cannabispatienten telefoniert oder mailt er. Sie sind schwer krank. Da war der Mann in seinem Alter, der ihn anrief, weil er eines Morgens das eine Bein nicht mehr richtig bewegen konnte, kurze Zeit später war er von den Hüften abwärts gelähmt, eine seltene Rückenmarksentzündung. Solche Geschichten setzen Fankhauser zu. Schwierig sind Hausbesuche, es kommt vor, dass er Patienten kurz vor dem Tod ein Medikament vorbeibringt. «Da kann die ganze Familie versammelt sein und Anteil nehmen. Das ist schön, aber auch traurig.» Er schaut aus dem Fenster. Manche würden sich in solchen Momenten vielleicht mit dem süsslich duftenden Kraut trösten. Fankhauser hat die Musik. Damals, als er zu Cannabis zu forschen begann, kaufte er sich das Album «Thing-Fish» und infizierte sich sofort mit dem «Zappa-Virus», wie er es nennt. Heute besitzt er 400 Platten des Künstlers. Und Hunderte von anderen: John Zorn, Miles Davis, Prince. Er mag, dass Zappa nie Drogen nahm. Obwohl er in einem Um­feld lebte, in dem der Rausch so normal war wie das Frühstück.

Erschienen in DAS MAGAZIN, 1. Februar 2014; Bild: Raffael Waldner

Ebola ist lukrativ

3. November 2014 § Hinterlasse einen Kommentar

Quelle: blog.wealthymen.org

«Ebola – auf welche Pandemie-Aktien Anleger setzen». So titelt die Handelszeitung online am 24. Oktober. Dann folgt die Anleitung, wie man mit der Krankheit Geld machen kann: Indem man Aktien von Unternehmen kauft, die Impfstoffe gegen Virenkrankheiten entwickeln. Es ist die Rede von «Unternehmen, die vergleichsweise günstig zu haben sind», oder von «attraktiven» und «üppigen Dividendenrenditen».

Die Handelszeitung rechnet vor, wo es sich am meisten lohnt. Bei «Sanofi, dem Marktführer für Impfstoffe», können Aktionäre mit einer «attraktiven Dividendenrendite von 3.5 Prozent» rechnen. Bei Pfizer verspricht man sich 3.7 Prozent. Beim US-Unternehmen Gilead Sciences halten Experten «bis 2020 ein jährliches Wachstum von sieben Prozent für möglich.»

Es interessiert nicht, wann, ob und wie ein Impfstoff diejenigen erreicht, die tatsächlich von Krankheiten bedroht sind. Schliesslich ist die Handelszeitung eine Zeitung für Schweizer Anleger und kein Gesundheitsmagazin. Darum interessieren auch die Expertenstimmen nicht, die sagen, Ebola werde sich in wohlhabenden Ländern kaum zur Pandemie entwickeln. Dazu sei das Virus zu wenig ansteckend. Das Handelsblatt behauptet lieber das Gegenteil: «Ein Ausbruch scheint auch in der industriellen Welt nicht mehr weit entfernt».

Aber nicht nur Ebola ist lukrativ. Generell «winkt ein starkes Wachstum» bei Medikamenten gegen Virenkrankheiten. Für Unternehmen zahlt sich der Kampf gegen Seuchen offenbar immer aus. Pandemien rentieren, auch wenn es sie gar nicht gibt – die Angst davor reicht.

Eine Enthüllung

24. August 2014 § Hinterlasse einen Kommentar

Dokumentarfilmer John Maloof zeigt in «Finding Vivian Maier» Leben und Werk einer bisher unbekannten Fotografin – und nebenbei auch sich selbst.

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Sie blicken nachdenklich in die Kamera, manche etwas unwohl an ihr vorbei. „Paradoxical“, sagt eine Frau, „mysterious“ eine andere, „eccentric“, sagt ein Mann. Eine sehr zurückgezogene Frau sei sie gewesen, sagt jemand. Die Männer und Frauen reden von Vivian Maier, einer obsessiv arbeitenden Strassenfotografin, geboren 1929 in New York, gestorben 2009 in Chicago. Sie verdiente ihr Geld als Kindermädchen, aber verbrachte ihre Zeit mit Fotografieren. Und niemand wusste von ihrem grossartigen Werk.

Bis John Maloof, ein junger Stadthistoriker, Makler und jetzt auch Regisseur, 2007 bei einer Zwangsversteigerung eine Kiste voller Negative erstand, die dieser Vivian Maier gehört hatten. Was er fand, beeindruckte ihn derart, dass er es sich zur Lebensaufgabe machte, die Bilder zu sichten und öffentlich zu machen. Zuerst auf einem Blog, dann in Galerien und nun in einem Dokumentarfilm, den er zusammen mit Charlie Siskel geschrieben und gedreht hat. Siskel war Produzent des oscargekrönten Bowling For Columbine von Michael Moore und Religulous von Larry Charles, beides satirische Dokumentarfilme. Wie schon diese beiden Filme, so scheint auch Finding Vivian Maier dem Zuschauer von der ersten Minute an «Sensation!» entgegenzurufen. Eine weitere Parallele: Wie Michael Moore gibt sich auch Maloof nicht damit zufrieden, einfach eine Geschichte zu erzählen, sondern inszeniert sich selber als eine Art investigativer Unterhalter. Er spielt die zweite Hauptrolle neben der Figur, deren Werk er eigentlich huldigen will.

Das ist schade, denn was Maloof per Zufall gefunden und anschliessend in langer Suche zusammengetragen hat, ist tatsächlich eine Sensation. Es sind zehntausende Fotos, die Vivian Maier während 50 Jahren in den Strassen Chicagos aufgenommen hat. Die meisten zeigen die Menschen, denen sie begegnete oder die sie wohl auch verfolgte: elegante Damen, die unter ihren Hüten hervorblicken, weinende Kinder an den behandschuhten Händen ihrer Mütter, krumme Beine von Jungen in kurzen Hosen, ein dösender Kioskmann in seinem Häuschen, eingerahmt von Variety, Life und Rolling Stone.

Fotografen und Galeristen, die Maloof vor die Kamera bittet, vergleichen Vivian Maier mit Künstlern wie Eugène Atget, Henri Cartier-Bresson, Robert Frank. Nur: Was die Experten so begeistert und Maloof uns begeistert vorführt, hat Maier selber möglicherweise nie interessiert. Keines ihrer Fotos wurde je veröffentlicht. Maloof will wissen, warum. Er hastet durch Chicago und bald um die Welt, begleitet von penetrant unternehmungslustig klingender Filmmusik. Er will «die dunkle Seite von Vivian Maier ergründen», wie er sagt und lässt jede Erkenntnis, die er gewonnen hat, von ihren früheren Bekannten im Interview kommentieren. «Sie hätte nicht gewollt, dass das passiert», sagt eine ihrer wenigen Freundinnen in die Kamera.

Maloof kommt einem vor wie ein Tourist, der durch ein fremdes Leben reist. Das ist eine Zeit lang sehr spannend. Aber je stärker er den Fokus weg von Maiers Werk und hin auf ihre Person verlagert, desto mehr werden ihre Bilder zu Indizien, die ihm den Weg zu ihren Wurzeln und ihrem Wesen erschliessen sollen. Damit verrät Maloof in gewisser Weise Maiers Werk, von dessen künstlerischer Qualität er so begeistert war.

Er zeigt nicht die Wirklichkeit – wie sollte er auch, ohne Maier selber befragen zu können, – sondern eine Wahrheit, die er aus Informationsfetzen konstruiert hat. Insofern hat der Filmer etwas gemeinsam mit seiner Fotografin: Bilder von Menschen zu machen, heisst, wie Susan Sontag in «On Photography» sagt, ihnen Gewalt anzutun, sie in Objekte zu verwandeln, die man sich aneignen kann. Warum Maier ihre Opfer, wenn man so will, in Kisten verstaut statt ausgestellt hat, bleibt trotz Maloofs Anstrengungen ein Geheimnis.

(Erschienen in der NZZ am Sonntag, 24. August 2014)

Ein Nachmittag im Leben

4. August 2014 § Hinterlasse einen Kommentar

Wenn Susanne Kramer, 43, malt, kann sie alles andere vergessen und wird – frei.

Bild: Veronique Honegger

«Früher habe ich getanzt und Klavier gespielt. Heute geht das nicht mehr. Wegen der MS. Jetzt male ich, es ist meine Möglichkeit, mich künstlerisch auszudrücken. Wenn ich male, kann ich alles andere vergessen, trotz der Anstrengung.

Seit dreizehn Jahren male ich jetzt im IWB-Atelier, wo Menschen mit körperlicher Behinderung ihre Kreativität ausleben können. Unsere neue Atelierleiterin hatte eine Idee zu einem besonderen Kunstprojekt: «ensemble, c’est tout». Es sollte nicht nur für uns sein, sondern auch für die Öffentlichkeit. Sie hat zeitgenössische Künstler eingeladen, ich selbst arbeitete in einem Viererteam: Ingrid Stastny und ich mit Esther Kempf und Benjamin Egger. Die beiden arbeiten sonst mit Fotografie, Video, Performance, oder sie machen Installationen. Ingrid und ich konnten uns nicht so viel darunter vorstellen. Aber an diesem einen Nachmittag im Februar haben wir eine neue Welt entdeckt.

Zuerst hatten wir Respekt. Wir sind ja keine professionellen Künstlerinnen. Wir konnten uns nicht vorstellen, wie wir gemeinsam arbeiten würden. Aber sobald wir angefangen hatten, haben wir unsere körperlichen Unterschiede gar nicht mehr bemerkt. Kunst ist Leidenschaft. «Bewegung» war unser Wort. Wir wollten Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Fussgängern und Rollstuhlfahrern darstellen. Alle vier waren sofort begeistert, aus einer Idee wurde die nächste, jede haben wir gleich ausprobiert. Das war wunderbar. Ich muss sonst schon immer alles planen: die Pflege, die Termine. Wenn ich in Zürich unterwegs bin und das Tram nehmen will, rufe ich beim Zürcher Verkehrsverein an und frage, ob das im Fahrplan vorgesehene Cobra-Tram tatsächlich kommt.

Für die eine Performance haben wir nach Bewegungen gesucht, die wir alle machen können, also unseren kleinsten gemeinsamen Nenner. Ich kann mich links nur ganz wenig bewegen, Ingrid ist Linkshänderin. Also musste sie auf rechts umstellen. Für eine andere Performance haben wir Helme getragen, auf denen ein Stift montiert war. Wir haben uns hin und her bewegt und damit an die Wand gezeichnet, jeder auf seiner Ebene. Es war sehr spielerisch und lustvoll.

Diese Erfahrungen beeinflussen mich seither. Beim Malen habe ich immer alles genau geplant und – zack, zack – so ausgeführt. Jetzt beginne ich an einem Punkt und lasse es wachsen. Open End. Der Weg, das Auf-mich-Hören, ist wichtiger geworden als das Ergebnis. Auch wenn es anstrengender ist.

Aber auch der Umgang mit meinem Körper hat sich verändert. Ich versuche jetzt Dinge zu tun, von denen ich dachte: Das kann ich doch nicht. Mich nach einer Tasse zu strecken, statt sie mir geben zu lassen, zum Beispiel. Und tatsächlich – meist gehts.

Ich habe mich schon vor diesem Projekt gern durch das Malen ausgedrückt, jetzt hat sich das noch gesteigert; es wirkt zurück auf mein Leben und bringt mir auch körperlich mehr Freiheiten. Dadurch, dass ich mehr wage.»

Für: DAS MAGAZIN, 28. Juni 2014

Rhythmusstörung

4. August 2014 § Hinterlasse einen Kommentar

Verbotene Stufe